[TALK YOUR WALK]
[Mobilität]
[Autofahrer]
[Individualität]
Die meisten von uns fahren Auto. Manchmal, seltener, öfter, täglich. Ich zum Beispiel etwa einmal im Vierteljahr. Ich begreife mich dabei nicht als „Autofahrer“. Sondern als jemanden, der dann ein Auto benutzt, wenn es mein Leben leichter macht.
Gibt es eigentlich „AutofahrerInnen“?
In der öffentlichen Debatte rund um Mobilität, Autobahnbau, Bahnhofssperren, Parkplätze, Einbahnregelungen, Radwege, Feinstaub und Wirtschaftsentwicklung gibt es diese eindimensionalen Wesen, „die AutofahrerInnen“. Die Annahme: Es gibt Menschen (und sie sind in der Überzahl), die ohne PKW-Nutzung ihr Leben nicht erfolgreich führen können und die ein Recht auf uneingeschränktes Autofahren haben. An diesen „AutofahrerInnen“ und deren angenommenen Rechten orientieren sich Organisationen wie ÖAMTC und ARBÖ ebenso wie die FPÖ.
In eben diesem klassischen AutofahrerInnen-Duktus diskutieren wir jede Neuorganisation im öffentlichen Raum: Was wird „dem Auto“ und „den AutofahrerInnen“ weggenommen. Wenn eine Autospur in einen Radweg umgewandelt wird, bleibt die Zahl der Fahrspuren tatsächlich gleich. Die Schlagzeile ist trotzdem: Eine Spur weniger! Politische Kommunikation rund um Verkehrsorganisation ist schwierig.
Das Auto steht für Vieles, das wir positiv werten
Schließlich steht das Auto in unseren Köpfen für Vieles, das wir positiv werten: Die [Frames] drehen sich um [Individualität], [Erfolg], [Flexibilität], [Abenteuer], [Männlichkeit], [Familie] oder auch sehr oft um [Umwelt]. Diese Frames sind langlebig. Wir treten gegen beinahe 100 Jahre alte Bilder an.
Kleiner Exkurs: In den 1920er-Jahren stieg die Zahl der Verkehrstoten in den USA erschreckend an. Vor allem FußgängerInnen wurden zu Opfern der neuen Technologie. Um wieder auf die Siegerstraße zurückzukehren, machte sich die Lobbygruppe Motordom gezielt daran, das Auto aufzuwerten.
Statt sich mit Vorwürfen und getöteten FußgängerInnen auseinanderzusetzen, wurde die Verantwortung umgedreht: „Nicht Autos töten Menschen. Menschen töten Menschen“, hieß es schon damals. Mit „Menschen“ waren nicht automatisch AutofahrerInnen gemeint, sondern die FußgängerInnen selbst sowie die spielenden Kinder und ihre unvorsichtigen Eltern. Die [Straße] als [exklusiver Ort für den motorisierten Verkehr] war geboren.
Kampfbegriff „Jaywalking“
Besonders fies: der Kampfbegriff „Jaywalking“. Wer von einem Automobil angefahren wurde, war nicht mehr Opfer, sondern ein Dorftrottel, ein Hans-guck-in-die-Luft: zu blöd, um unverletzt über die Straße zu kommen.
Die damals gesetzten [Frames] gelten bis heute: Die Straße gehört dem Auto, wer daran etwas ändern will ist erstens weltfremd und nimmt zweitens etwas weg: Begriffe wie [Parkplatzraub] oder [Verlust einer Fahrspur] zeigen deutlich, wie wir mehrheitlich das System Straßenverkehr wahrnehmen: Zuerst kommt das Auto mit seinen legitimen Ansprüchen, dann kommt lange nichts. FußgängerInnen oder RadfahrerInnen sind die „schwächeren“ VerkehrsteilnehmerInnen und müssen auf eigene, geringerwertige Flächen beschränkt bleiben.
Auto als Symbol für Erfolg und Freiheit
Das eigene Auto ist stark mit individueller Freiheit verbunden. Und mit wirtschaftlichem Erfolg. Wer keines hat, kann sich keines leisten. Wahrscheinlich, weil er nicht fleißig genug arbeitet, keinen ordentlichen Job hat. Wer es sich leisten kann, wer wirtschaftlich [erfolgreich] = [moralisch stark] ist, ist im Recht. Er nimmt sich Freiheit, hebt sich aus der Masse ab. Das zeigt sich in längst sinnentleerten Begriffen wie „Individualverkehr“ und wird vor allem in der Werbung stark betont:
„Exploring Mars“?
Audi claimt für einen SUV Quattro, er sei „Bereit für die Freiheit“, Toyota verspricht beim RAV4 „Whatever. Whereever. Whenever.“. BMW geht geografisch beim X3 mit „Exploring Mars“ noch ein paar Schritte weiter, während beim X4 mit „Charakter: unartig“ eine andere Art von Freiheit überzeugen soll. Wer also sagt, wir müssen den PKW-Verkehr einschränken, beschneidet meine empfundene höchstpersönliche individuelle Freiheit! Und die gilt trotz aller Widersprüchlichkeiten als Maß.
Wir wissen, dass die [PKW-Flut], die jeden Tag unsere [Straßen vermurt], ökonomische Schäden verursacht, ökologisch katastrophal ist, die Haushaltsbudgets unverhältnismäßig belastet und Freiflächen in den Städten vernichtet. Das wissen wir alle. Auch die PKW-Fans. Trotzdem ist es die Autoindustrie, die das Kommunikationsmatch gewinnt.
Das Kommunikationsmatch gewinnt die Autoindustrie
In der politischen Kommunikation stehen wir bei Maßnahmen, die die PKW-[Flut eindämmen] wollen, vor entscheidenden kognitiven Hürden:
- Status quo bias – Menschen schätzen allgemein den (bekannten) Status quo höher als (unbekannte) Alternativen
- Endowment effect – Wir überbewerten Dinge, die wir schon besitzen
- Loss aversion – Wir überbewerten Verluste und unterschätzen potentielle Gewinne
- Risk miscalculation – Wir überbewerten Risiken des Unbekannten und zu befürchtende Ergebnisse
- Availability heuristic – Wir überbewerten die (unbelegte) Wahrscheinlichkeit bestimmter Schlüsselereignisse
Diese Hürden müssen wir beim Re-Framing im Auge behalten: Auto-Mobilität kenne ich bereits – mit all ihren Vor- und Nachteilen. Ich habe gelernt, mich mit dem Stau zu arrangieren. Mein Auto habe ich bereits. Wozu sollte ich daran etwas ändern? Wer garantiert mir, dass etwas Besseres nachkommt? Wahrscheinlich wird es schlechter. Außerdem wird mir wahrscheinlich kalt auf dem Fahrrad und wahrscheinlich regnet es. Oder jemand stiehlt mein Rad. Ich habe da etwas dazu in der Zeitung gelesen. Außerdem will ich nicht zu diesen Radrowdys gehören, von denen die Nachbarin redet.
Es braucht neue Erzählungen als Basis für ein neues Framing
Verluste sind verzichtete Gewinne – Gewinne sind übergangene Verluste
Wer weiterhin Auto fährt, verzichtet auf den großen Vorteil, keinen Parkplatz suchen zu müssen. Mein Auto kostet so viel Geld, ich will mein Geld für Besseres ausgeben.
Kosten und Risiken kumulieren
3 Monatsgehälter frisst ein eigenes Auto. Hast du dir schon ausgerechten, was dich da diese kurze Fahrt zum Supermarkt kostet?
Saliente Positivbeispiele finden und wiederholen!
Ich habe gerade gelesen, dass Kinder, die selbst in die Schule gehen, leichter lernen. Weil die Bewegung so wichtig ist.
Gesellschaftlich anerkannte Belege bringen (Peers!)
Ich genieße es so, mit dem Nachtzug in den Urlaub zu fahren. Da beginnen die Ferien schon am Bahnhof. Ist auch für die Kinder jedes Mal ein tolles Abenteuer!
Du bist der Stau!
Bis wir mit diesen Erzählungen Erfolg in großem Stil feiern, wird es noch ein wenig dauern. Denn heute gilt (noch): Autoverkehr gibt es ganz einfach. Stau ist eine Tatsache, an der nicht zu rütteln ist. Wenn man die Meldungen im Verkehrsfunk hört, möchte man glauben, Stau sei eine vom Menschen getrennte Wesenheit, hervorgerufen von anderen externen Gestalten wie dem Ferienbeginn. Fakt ist: Du stehst nicht im Stau, du bist der Stau. Wir werden nur dann ein Umdenken erreichen, wenn wir über individuelle Verantwortung reden – und über individuelle Gestaltungsmöglichkeiten.
Gegen das schlappe Image
Ja, Bahn und Bus haben mitunter nicht das beste Image. Auch hier gilt: Erzählen wir unsere positivem Geschichten:
„Massentransportmittel“? – Ich kann meine Route flexibel und individuell zusammenstellen.
„Arme-Leute-Transportmittel“? – Ich genieße den Luxus, dass ich mich chauffieren lassen kann. Ich will mir meine Jahreskarte leisten.
Ich habe meinen eigenen Chauffeur vorne in der U-Bahn oder im Taxi.
… seien Sie kreativ und erzählen Sie andere Geschichten zu Mobilität und Öffentlichem Verkehr.
Framing: die „ungeregelte“ Ampel
Zum Abschluss ein gutes Beispiel für das versuchte Re-Framing eines Anliegen: Die Radlobby hat ihr Framing von Ampeln verändert.
Für RadfahrerInnen ist es vorteilhaft, wenige Ampeln und wenig Wartezeiten zu haben. An großen Kreuzungen braucht es aber Lichtsignalanlagen, um (auch für PKW-LenkerInnen) ein sicheres Queren zu ermöglichen. Das etablierte Begriffspaar: „geregelte“ vs. „ungeregelte Kreuzung“. Die Ampel gilt als das zentrale Regelungswerkzeug.
Allerdings gibt es dabei zahlreiche kontraproduktive Assoziationen: Mit „ungeregelt“ werden Konzepte wie „ohne Regeln, ohne Ordnung, chaotisch, unsicher“ assoziiert. Ein geeigneter Frame für eine Kreuzungsgestaltung ohne Ampel ist also die „ampelfreie Kreuzung“.