“Der Hass der Täter…” – Wie reden wir über “Terror”?

[Optimismus]
[Terror]
[Werte]
[Sprachlosigkeit]

So, also.
Wie reden wir über etwas, das uns sprachlos macht?
Fangen wir mit dem Banalen an:

[Optimismus] vs [Terror]

Das Wort Terror bringt uns nicht mehr weiter. Zu vielfältig sind die tatsächlich Akte von Terrorismus, zu missbräuchlich bereits die Verwendung (Tugendterror, Gesinnungsterror,…)

Deutschlands Präsident Gauck hat gestern erklärt: “Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen”. Schade um die vertane Chance. “Der Hass der Täter wird nichts daran ändern, dass wir in Deutschland offen und optimistisch aufeinander zugehen können”, das hätte ich gerne gehört. Die Betonung des Ziels, die Einladung zu einem Miteinander. Reden wir über uns selbst und über das, was wir wollen. Reden wir über unser Selbstverständnis. Und dass dazu auch gehört, den anderen – z.B. den streng gläubigen Muslim – respektvoll anzuhören.

[Terror] bedroht unsere [Werte]

Von einem “Angriff auf unsere Werte und Tradition sowie ein Angriff auf unseren Glauben”, schreibt Heinz-Christian Strache auf seiner Facebook-Seite. Was bedeutet das in einer fürsorglichen, menschlichen Weltsicht? Reinhard Göweil zählt im heutigen Leitartikel der Wiener Zeitung “Die Werte Europas” auf: “Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität wollen nun verteidigt werden. (…) Wenn diese Werte verloren gehen, wird Europa in der Folge den Frieden und auch den Wohlstand verlieren.”

Geben wir diesen Werten konkrete Inhalte. Jeden Tag. Nicht nur nach schockierenden Anlässen. Ich sehe das als eminent wichtigen Auftrag an PolitkerInnen, genauso aber an jedeN von uns:

Nehmen Sie sich die Zeit und überlegen Sie, wie wir Pluralismus tatsächlich leben! Wie gehen wir aufrichtig, empathisch, ehrlich und trotzdem authentisch um mit Menschen, die unserer Weltsicht nicht entsprechen? Mit muslimischen Kopftuchträgerinnen, mit jungen und alten Neonazis, mit Menschen, die jeden noch so kurzen Weg mit dem Auto zurücklegen, die Fleisch essen, rauchen, die “falsche” Partei wählen. Hier haben wir Defizite. Und nach einem Auslöser wie dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz zeigen sie sich besonders deutlich.

PS: [Normalität]
Sehr gut übrigens der Auftritt der deutschen Polizei. Sie bemüht sich um Ruhe, strahlt Gelassenheit aus und hat von Anfang an versucht, sich gegen Gerüchte zu stellen.

PPS: Ein lesenswerter Text kommt von einem Berliner Facebook-User, der die Hauptstadt in aller Vielfalt beschreibt.

Berlin. Sprachlos.

[Berlin]
[Terror]
[Angst]
[Sprachlosigkeit]

Wir tun das eigentlich Notwendige nicht. Worte suchen und finden.

12 Menschen sind tot.
Wir sind betroffen. Entsetzt. Sprachlos.
In Wien, in Berlin, die Trafikantin begrüßt mich mit “Entsetzlich, was da geschehen ist!”
SpitzenpolitikerInnen drücken ihr Beileid aus. Wir legen Wert auf die Tatsache, dass wir weiterhin nach unseren Werten leben werden.
Dass wir heute Abend selbstverständlich auf einen Punsch gehen werden. Jetzt erst recht.

Und wir tun das eigentlich Notwendige nicht. Worte suchen und finden.

Angesichts derartiger Bluttaten sind wir sprachlos.
Ein schlechter Zustand, denn was wir sprachlich nicht ausdrücken können, was uns wortlos zurücklässt, das können wir auch nicht reflektieren. Eine schlechte Position zu einem Phänomen, das sich anscheinend anschickt, in Europa häufiger zu werden. Da fehlt uns etwas. Es fehlt uns die Fähigkeit, derartige Taten zu reflektieren.

Terror?
Im Englischen funktioniert der Begriff klarer.
Angst. Riesenangst. Scheißangst.
Der Terrorist verbreitet Terror.
Er verbreitet Angst.
Die Tat macht uns Angst.
Sprachlosigkeit ist Hilflosigkeit. Und Hilflosigkeit ist Angst.

Es hilft, zu dieser Angst zu stehen und darüber zu reden. Heimlich mit sich selbst und öffentlich mit Freunden und in den Medien. Wir dürfen jetzt keine Angst zeigen, höre ich aus dem Radio. Warum eigentlich nicht? Weil der Terrorist damit sein Ziel erreicht hätte.

Ganz schnell sind wir beim rationalen Auflösen des Geschehenen.
Ohne uns weiter mit dem Lenker des LKW auseinanderzusetzen wissen wir: Es ist ein Anschlag auf Merkels Politik.
Österreichs Innenminister vergrößert die Unsicherheit indem er aufruft, nach verdächtigen Menschen Ausschau zu halten. Die Gefahr kann überall lauern! Wir brauchen mehr Betonabsperrungen.

Ich halte das Unterdrücken der Angst, das nicht darüber Reden, für einen fatalen Fehler.
Ja, ich habe Angst, ich stehe zu meiner Angst.
Ich muss nicht mutig sein.
Ich bin bereit, weiterhin Punsch zu trinken.
Ich bin bereit herauszufinden, was denn “unsere Werte” sind, die wir gegen “den Terror” verteidigen müssen.
Uns fehlen die Worte. Ändern wir das!

“So wahr mir Gott helfe”?

[Norbert Hofer]
[Bundespräsident]
[Gott]

Also haben wir wieder etwas, worüber wir uns aufregen können.
Norbert Hofer ruft auf seinen Plakaten Gott an
Darf er das? Hofer ist ja evangelisch…

Kirchenvertreter echaufieren sich.
Politikwissenschafter analysieren das mögliche Schielen nach ÖVP-WählerInnen und diskutieren Mobilisierungseffekte.

Vielleicht ist die Antwort wieder einmal eine viel einfachere:

Hofer präsentiert sich bereits seit Monaten als Präsident.
Als der echte, der legitime.
Und wer verwendet die Phrase “So wahr mir Gott helfe”?
Der gewählte Bundespräsident, bei seiner Angelobung.

[Hofer]=[Präsident]
[Hofer]=[gewählt]

Diesen Frame evoizert der FPÖ-Kandidat einmal mehr.
Er schafft Fakten.
Und das sehr gut…

Wahrheit? Was soll das sein? – Leben wir im “postfaktischen Zeitalter?

Gedanken zu Benedikt Narodoslawsky, „Wahrheit, nein danke!“ (Falter 39/16)

[postfaktisch]
[Wahrheit]
[FPÖ]
[Demokratie]

Es gab also dereinst das „faktische Zeitalter“, als der Mensch sich an der Wahrheit orientierte. In der Antike oder während der Aufklärung. Erleuchtet von der Wirkung der Fakten entschied sich der Mensch vernünftig. Und alles war gut.

Aber heute! Heute leben wir postfaktisch, in der „Nichtwissenwollengesellschaft“ und folgen allein den Gefühlen.

So verläuft der aktuelle pessimistische Diskurs über die postfaktische Gesellschaft. Vielleicht schaden in einer Debatte über Fakten ein paar Fakten nicht:
Menschen sind keine „rational actors“. Diese wesentliche philosophische Annahme ist kognitionswissenschaftlich widerlegt. Menschen orientieren sich weniger an Fakten als an ihren Werten. Sie erfassen die Welt vermittelt durch Frames und haben inkonsistente, manchmal konfuse Weltbilder. Eine Wirklichkeit, die alle Menschen auf diesem Globus teilen, existiert quasi nicht.

Weniger aus „cognitive ease“, weniger weil „wir jene Fakten lieber ignorieren, die unser Hirn anstrengen würden.“ Diese moralische Interpretation erweckt den Eindruck, dass wir uns bloß anzustrengen bräuchten, die objektiven Fakten zu verstehen. Der Vorwurf der Denkfaulheit steht da mit erhobenem Zeigefinger im Raum. Tatsächlich geht es weniger um Wollen: Das menschliche Gehirn lässt Fakten, die nicht den eigenen Frames entsprechen, einfach abprallen. Faulheit? Neuronen!

Ja, die FPÖ „schlachtet jede Nachricht über Straftaten (…) von (…) Asylwerbern aus.“ Und erfolgreich „suggeriert sie damit einen Ausnahmezustand.“ Was daran ist neu oder gar postfaktisch? Der Schlüsselbegriff lautet „salient exemplars“, herausragende Beispiele, die dermaßen betont werden, dass sie zu einer eigenen Wahrheit werden können. Die Wahrscheinlichkeit, bei 6 aus 45 den Sechser zu erraten, liegt bei 0,0000123 Prozent. Mediale Aufmerksamkeit bekommen allerdings nicht die zigtausend Spielsüchtigen in Österreich (=eher wahrscheinlich, selbst betroffen zu sein) sondern die LottogewinnerInnen (höchst unwahrscheinlich, selbst betroffen zu sein). Zur Wahrheit wird der wahrscheinliche Gewinn. Neu? Postfaktisch? Nein, menschlich. So funktionieren unsere Gehirne.

Ja, wir können von der FPÖ lernen. Keine andere Partei spricht ihre Klientel besser an. Weil sie sich sehr früh gekonnt der neuen Medien bedient hat und weil man schon unter Jörg Haider verstanden hat, dass Menschen eben keine „rational actors“ sind. Dass wir in einer Zeit leben, in der Bindungen erodieren und Vertrauen zerbricht. Subjektive Glaubwürdigkeit wird zu einem wesentlichen Faktor. Diese Glaubwürdigkeit hat die Politik in den vergangenen Jahrzehnten sehenden Auges verspielt. Ein Vorwurf, den sich wohl alle Parlamentsparteien gefallen lassen müssen. Politik ist das Erklären und Gestalten der Welt. Es wäre höchste Zeit, diesen Raum nicht mehr der FPÖ zu überlassen!

Nicht jeder strenge Vater ist gleich Gott

Eine Ergänzung zu Walter Ötsch in den Salzburger Nachrichten vom 17. 9. 2016

[FPÖ]
[bpw16]
[Framing]
[strict father]

Ist es “religiöse Überhöhung”, wenn FPÖ-Präsidentschaftskandidat Hofer das Matthäus-Evangelium bemüht? Stilisiert er sich gar zum Erlöser, wie sein Parteiobmann, der sich gerne mit dem Kreuz zeigt?

Ich lese aus der freiheitlichen Kampagne zur Bundespräsidentschaft eine wesentlich einfachere Antwort:
Im Wertekanon konservativer blauer WählerInnen ist eine Position zentral, die des “strengen Vaters”. Der, der es besser weiß. Der, der die Lösung kennt und durchzusetzen bereit ist. Der, der die Macht hat zu entscheiden, wer oder was gut oder böse ist.

Jörg Haider ließ noch plakatieren, dass er “an euch glaubt”, die FPÖ von heute beschützt 333 Jahre nach den “Türkenkriegen” noch immer das Abendland und Norbert Hofer verspricht: “Wenn ich Bundespräsident bin, gebe ich euch euer Österreich zurück.”

Es ist nicht wesentlich, was diese Sentenzen auf der Faktenebene bedeuten. Eine christliche Gesinnung ist zum Verständnis der Botschaften gar nicht wesentlich. Die Sehnsucht nach einem starken Mann, dem “father who knows best”, ist genau das, worauf Hofer zielt. Und er trifft. Der Sager, dass wir uns noch wundern würden, was alles möglich sei, war kein Ausrutscher, keine Provokation. Sondern eine gezielte Botschaft, die genau in die Kerbe schlägt, die Ötsch religiös versteht: Ich, Hofer, habe die Macht. Und ich bin bereit sie einzusetzen.

Wahrscheinlich glaubt ja nicht einmal Parteigeneral Herbert Kickl selbst, dass Österreich von TerroristInnen überschwemmt wird. Aber er weiß, dass dank einschlägiger Berichterstattung in den Köpfen seiner potentiellen WählerInnen die wenigen bisherigen Terrorakte in Europa in seiner Zielgruppe salient also auffallend, herausragend genug sind, um daraus ein entsprechendes Szenario zu stricken. Dank medialer Berichterstattung sind Lottogewinner, Terroropfer und das Wetter von morgen präsenter als die tausenden Flüchtlinge, die sich redlich um einen Platz in Österreich und um das Lernen der deutschen Sprache bemühen.

Die FPÖ zeigt damit einmal mehr, dass sie sich als erfolgreichste – vielleicht auch einzige – der heimischen Parteien mit dem Framing ihrer Botschaften beschäftigt: Starker Vater, Bedrohungsszenario und ein paar “saliente Beispiele” – fertig ist die Kampagne!

Öffentlicher Verkehr ist vor allem teuer! Ein Brief an die Arbeiterkammer…

[Öffentlicher Verkehr]
[Auto]
[Mobilität]
[Arbeiterkammer]

Liebe KollegInnen bei der Arbeiterkammer,

ich schätze eure Arbeit wirklich. Ehrlich! Gerade im Bereich Mobilität seid ihr oft unter den wenigen progressiven Playern zu finden. Und eure Forderungen zum Ausbau der Schnellbahn unterschreibe ich mit Begeisterung.

Was habe ich dann zu jammern?

Ihr baut darauf, dass eure gut recherchierten Fakten für sich selber sprechen. Tun sie aber nicht. Wenn ich mir eure Website ansehe, lerne ich vor allem eines: Bist denn du deppert! Das ist ja völlig unfinanzierbar!

Ihr habt einmal mehr vergessen, eure Inhalte zu framen!

Kurz einen Schritt zurück: Wir brauchen nicht vorsichtig und diplomatisch zu formulieren. Wir brauchen nicht nach der “Mitte” zu schielen. Weil es die nicht gibt. Um progressive Inhalte nachhaltig zu etablieren, braucht es die richtigen Frames. Eigene Frames, nicht die der anderen!

Gut geframte Texte zu Mobilität weisen dem PKW aktiv eine Rolle unter “ferner liefen” zu.

Was macht ihr? Einmal mehr betont und und betoniert ihr das alte Bild von der Unverzichtbarkeit des Autos. Gleich in den ersten Zeilen singt ihr das Lied von der überragenden Rolle des eigenen KFZ. Ihr macht den Frame auf [Gegenwart] = [PKW] = [Zukunft], durch die prominente Feststellung, dass der PKW-Verkehr weiterhin zunehmen wird.

Spätestens an dieser Stelle steigt die Hälfte der LeserInnen aus. Weil ja offensichtlich der PKW deutlich wichtiger ist als die Bahn. Ohne Auto geht gar nichts, plus 52 Prozent bis 2030. Na dann muss ja weiter in die Straßeninfrastruktur investiert werden. Um die Bahn können wir uns später kümmern.

Und teuer ist die Bahn auch noch! Ein Kilometer Umbau kostet 35 Millionen Euro!

Der kritische Vergleich mit der U-Bahn ist kontraproduktiv. Ein öffentliches Verkehrsmittel gegen ein anderes auszuspielen, welchen Sinn soll das haben? Teuer ist der PKW (v.a. die privaten Kosten, die Belastung der Haushalte durch den Besitz eines Autos), unerträglich teuer ist der Straßenbau (3 Milliarden Lobau-Autobahn!). Kosten darstellen ist wichtig. Aber bitte in einem Frame, der den persönlichen Nutzen betont. In einem Frame, der das Auto als teuer zeigt. Ein Match zwischen verschiedenen ÖV-Teilen ist entbehrlich.

Meine Bitten an euch:

  • Überlassen wir die Frames, die rund um die Werte Individualität, Flexibilität und Freiheit gestrickt werden, nicht den AutofahrerInnen-Parteien, dem ÖAMTC und dem ARBÖ!
  • Framen wir den ÖV als den einzigen Verkehr schlechthin. Das Auto soll in Zukunft nur mehr eine bescheidene Rolle spielen. Also formulieren wir bitte auch so!
  • Fangen wir heute damit an!

Herzlich
Axel Grunt

Nizza: Wenn Mitterlehner progressiver framet als Kern…

[Terrorismus]
[Nizza]
[Kern]
[Mitterlehner]
[strict father]
[Empathie]
[Empowerment]

Das gestrige Verbrechen von Nizza mit seinen knapp 100 Opfern macht klar, wie wichtig das Framing von Katastrophen ist. Und wessen Werte und wessen Politik den Diskurs bestimmen und bestimmen werden.

Konservative haben es heute leicht – je extremer desto leichter:

Heinz Christian Strache ist als [Bürgerkanzler] ohnehin der [father, who knows best].
Er kann sich auch den simplen Standpunkt stellen: Hätte “man” (=diese illegitime Regierung) früher auf mich gehört, wären ohnehin alle radikalen Islamisten bereits ausgewiesen.
So simpel so nutzlos, genauso wie das Auge um Auge-Narrativ von Russlands Regierungschef Medwedew: „Die Terroristen und ihre Anhänger verstehen nur die Gewalt, und die müssen wir anwenden“. Der [starke Mann] wird die schlechten Menschen [bessern], und das geht nur [mit Gewalt].

In Österreich zeigt auch Außenminister Sebastian Kurz, dass er weiß, was zu tun ist (verkürztes Zitat): “Wichtig ist, dass wir [unseren Lebensstil] weder aufgeben noch verändern sondern [ganz entschlossen], diese Terroisten bekämpfen. [Militärisch, polizeilich und natürlich auch ideologisch].”
In anderen Worten: Wir geben keinen Schritt nach, wir sind auf dem richtigen Weg, wer anders denkt, wird bekämpft. Dialogangebote kann es nicht geben. Dass ein Außenminister kein Wort über die historischen Wurzeln von Terrorismus verliert (hat sich Kurz dazu jemals geäußert?) und kaum etwas in Richtung internationaler Entwicklungszusammenarbeit unternimmt, passt perfekt in sein Rollenbild.

Ein extrem guter Framer ist Wolfgang Sobotka. Er hat sein Handwerk ja in der NÖ Volkspartei gelernt. Der Innenminister bewegt sich perfekt auf konservativem Terrain, wirkt dabei aber progressiv und spricht damit die Bi-conceptuals an, jene WählerInnen, die sowohl konservativ als auch progressiv denken können: Der [Mensch] ist von Natur aus [schlecht], kann sich aber [bessern]. Wer sich auf “uns” zubewegt und “unsere” Werte übernimmt, dem reichen wir die Hand. Sobotka spricht von Prävention, damit Menschen erst gar nicht in ein Umfeld mit krimineller Energie kommen. Das Ziel: “Dass junge Menschen in ihrem Leben Sinn erkennen, (…) dass sie Arbeit finden und zu wertvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft heranreifen können.”

Da hat der Bundeskanzler nichts entgegenzusetzen. Obwohl Christian Kern sonst sehr bewusst mit Worten umgeht, fällt ihm heute gar nichts ein: “Frankreich, die große Nation, steht für europäische Werte, die auch unsere Werte sind und diesen hat dieser Anschlag gegolten.” Statt progressivem Framing bringt Kern bloß die Wichtigkeit von Polizei-Kooperation auf europäischer Ebene.

Für mich die große Überraschung bietet ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner.
Obwohl konservativer Spitzenpolitiker bedient er besser als der Kanzler progressive Werte: Empathie und Empowerment. Der Vizekanzler betont die Wichtigkeit von Integration. Was soll seiner Meinung nach nun passieren: “Einerseits respektvoll miteinander umzugehen, das von der Schule, vom Kindergarten auf zu lernen. Auf der anderen Seite wird man den Terror (…) auch die Grundlagen entziehen müssen…”. Respekt. Was für ein schönes, wichtiges Wort an einem Tag wie heute.
Herr Mitterlehner, ich ziehe meinen Hut!

(alle Zitate aus dem Ö1 Mittagsjournal vom 15. Juli 2016, außer Strache (facebook))

ÖXIT – die FPÖ wärmt für die Nationalratswahl auf

[EU]
[Zentralismus]
[Kanzler]
[starker Mann]
[Hofer]

Aha.
Norbert Hofer stellt der EU (in einem Interview mit der Gratiszeitung “Österreich”) also ein Ultimatum: Veränderungen innerhalb eines Jahres oder österreichisches Austrittsreferendum.
Bedient wird dabei ein bekannter – wirkungsvoller – Frame:

[EU] = [Zentralismus], und dieser Zentralismus sei extrem verwerflich, weil “uns” ja dann “die” sagen, was wir zu tun und zu lassen haben. Das ist Hofers Klientel gewohnt und dieser Frame wird von “Österreich” oder der Kronenzeitung ja auch regelmäßig bestärkt.

Konsequenterweise müssten FPÖ-WählerInnen dementsprechend einen Freiheitlichen an der Staatsspitze ablehnen. Strache verstünde sich als [Kanzler] wohl als [starker Mann], der rasch und ohne viel Gerede die (richtigen!) Entscheidungen fällt.

[FPÖ-Kanzler] = [Zentralismus] wäre die logische Folge. Unter Strache könnten wir wieder nicht an wesentlichen Entscheidungen teilhaben. Das wird FPÖ-SympathisantInnen aber kaum von ihrer Wahlentscheidung abbringen. Weil der Strache ist ja “einer von uns”, handelt also automatisch und intuitiv in “unserem” Sinn.

Interessant, wie beim Thema Zentralismus die Perspektive springen kann. Je konservativer desto mehr Macht beim (zentralistischen) “starken Mann” und möglichst wenig Macht bei als ferne empfundenen Institutionen, seien sie in Wien oder in Brüssel.

Je progressiver desto dringender der Wunsch, die Kompetenzen einzelner Parteien oder PolitikerInnen zu begrenzen. Und desto lauter der Ruf nach intensiver Kooperation und – siehe globale Migration – gemeinschaftlicher, zentral organisierter Problemlösung.

Also Widerstand gegen Zentralismus auf allen Seiten.

Können wir das Rätsel lösen? Wir Menschen haben das Bedürfnis nach Unterstützung. Und die Hoffnung, dass da jemand ist, der sich verlässlich und in unserem Sinn um unsere dringenden Anliegen kümmert.

Die Antwort, die progressive Parteien dringend geben müssen, wenn sie gegen die konservative Vormacht in Österreich ankommen wollen, geht also über ihre jeweiligen Konzepte und Politiken hinaus: Es ist die Antwort auf die Frage, warum wir gerade ihnen dieses Vertrauen geben können!

Willkommenskultur ist so links wie Nudelsuppe

Ergänzungen zu Christoph Hofingers Analyse “Der Kampf um die Mitte” (Falter 21/16)

[Framing]
[FPÖ]
[Sebastian Kurz]
[Medienframes]

Ja, Framing! Endlich bekommt ein wichtiges Thema ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Christoph Hofinger liefert im Falter einen kluger Text, Pflichtlektüre für politisch interessierte Menschen. Schade bloß, dass die Analyse im alten rechts-Mitte-links-Bild hängen bleibt.

Politisch links ist kein Ort, kein Zustand, sondern nur ein Bild, an das wir so sehr gewöhnt haben, dass wir es für eine Realität halten. Tatsächlich ist Willkommenskultur genauso “links” wie Nudelsuppe.

Wir Menschen entscheiden primär auf Basis unserer Werte. Und da beginnt es bei Hofingers Text zu haken: Es gibt keinen originären FPÖ-Wertekanon! “Strafe” ist nicht “FPÖ-Wertekanon” sondern viel eher konservativer Kanon. “Father knows best” und wer sich dem strengen Vater nicht unterwirft, muss logischerweise bestraft werden. Dieser Vater könnte in diesem Frame Norbert Hofer sein (“Sie werden sich noch wundern…”). Dass aber der angeführte Sebastian Kurz Menschen als “Integrationsverweigerer” bezeichnet, ist nicht „desaströses Framing“ weil FPÖ-Wert. Sondern ist aus Framing-Sicht logisch und konsequent. Kurz zeigt in seinem ganzen politischen Wirken, dass Integration überwiegend Sache der MigrantInnen ist. Eine Pflicht! Die Rolle des Staates (Freifahrt für AsylwerberInnen, damit sie in ihre Sprachkurse gelangen können) reduziert sich bei Kurz auf Werteschulungen. Und die sind – logisch – Pflicht. Und der Migrant, die Asylwerberin ist verpflichtet, sich so rasch und so gut wie möglich zu integrieren und “unsere Werte” zu übernehmen. Sie tun das nicht? Dann entziehen sie sich einer klaren Verpflichtung. Sie verweigern sich ihrer Pflicht.

[Partei] = [Person] und hat darum Werte? Naja…

Menschen haben ihre jeweiligen Werte. So stehen zahlreiche SPÖ-FunktionärInnen in Wien der FPÖ näher als den grünen KoalitionspartnerInnen. Haben sie deshalb einen blauen Wertekanon übernommen? Nein. Ihre “deep seated frames” passen bloß besser zu den – gemeinsamen – konservativen Frames in der Flüchtlingsfrage, mit denen die FPÖ erfolgreich an die WählerInnen herantritt.

Zurück zu einer der zentralen politischen Metaphern, zum “rechts-links-Schema”, der imaginären Anordnung der Parteien anhand ihrer Positionen. Je weiter “außen” auf dieser vorgestellten Linie, desto extremer. Und in der Mitte? Dort ist alles gut und richtig, dort wollen alle hin, dort liegt der politische Erfolg! Oder? Oder etwa nicht?

SPÖ und ÖVP führen es uns seit Jahrzehnten vor: Wer den “Kampf um die Mitte” führt, wer als wichtigste Strategie entdeckt, sich “in die Mitte zu bewegen”, hat schon verloren.

Der von Christoph Hofinger angerufene George Lakoff, Linguist und politisch aktiver Berkeley-Professor, warnt ausdrücklich davor, sich politisch der „Mitte“ zuzuwenden. Um die “bi-conceptuals” auf die eigene Seite zu ziehen, gibt es für Lakoff nur einen Weg: Klarheit, was die eigenen Werte angeht, diese konsequent framen und kommunizieren. “In die Mitte rücken” oder “nach rechts dicht machen” sind für Lakoff Wege in den Misserfolg.

Eine Partei, kann nur dann politische Hegemonie erreichen, wenn sie sich den Raum dafür selbst schafft. Kreativ, konsequent und vor allem auf Basis der eigenen Werte. Das Schielen nach der “Mitte” oder nach den Erfolgsrezepten der anderen ist schlichte Zeitverschwendung.

Übrigens gibt es interessante Untersuchungen dazu, dass JournalistInnen dazu neigen, konservative Frames und Frames der Regierenden zu übernehmen. Nicht aus innerer Überzeugung, aus Feigheit oder weil sie dem Kanzler gefallen wollen, sondern weil etablierte konservative Frames als „objektiv“ empfunden werden. Ist das nicht interessant?

Bundespräsidentschaftswahl: drei unnötige Überhöhungen

[Bundespräsidentschaftswahl]
[FPÖ]
[Grüne]
[Hofer]
[Van der Bellen]

Heute wird viel analysiert und debattiert und interpretiert. Dabei stehen drei Fäden im Vordergrund:

Die Wahl haben die “FPÖ breiter” gemacht.
JedeR zweite WählerIn habe ja blau gewählt und das würde Auswirkungen auf kommende Wahlen haben. Allerdings lese ich nirgendwo, dass dasselbe plus 0,6 Prozent für die Grünen gelten müsste. Schließlich haben die Grünen ihr Ergebnis von der Nationalratswahl 2013 um etwa 300 Prozent übertroffen. Heißt der/die nächste BundeskanzlerIn also Ingrid Felipe oder Rudi Anschober?

Zerbricht Österreich an der “Spaltung des Landes”?
Metaphorisch gesehen ja recht hübsch: [Österreich] = [Körper], ein physischer [Gegenstand], der gespalten werden kann.
Was ist tatsächlich passiert? Gar nichts! Wer sich nicht dem grün-überparteilichen Van der Bellen anschließen wollte, hat den blau-konservative-freiheitlichen Hofer gewählt. Nicht aus Überzeugung (das war im ersten Wahlgang so), sondern mangels Alternative. Selbst gar nicht so wenige Griss-WählerInnen haben im zweiten Durchgang Hofer angekreuzt. Werden die bei einer kommenden Nationalratswahl FPÖ wählen? Wohl eher nicht.

“Die Wahlkarten haben entschieden.”
Nein haben sie nicht. Bei einer Bundespräsidentschaftswahl ist tatsächlich jede Stimme gleich viel wert. Anders als bei Parlaments- oder Landtagswahlen werden alle Stimmen gleichwertig zusammengerechnet. Die Wahlkarten/Briefwahlstimmen werden später ausgezählt. Entschieden haben allerdings jene 72,7 Prozent der wahlberechtigten ÖsterreicherInnen, die sich an der Wahl beteiligt haben. Gleichwertig.