Für die Grünen endet die Nationalratswahl 2017 mit einem Debakel. Ob Einzug in den Nationalerat oder nicht, auf +/-4 Prozent sinken ist eine Katastrophe. Der grüne Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch schreibt dazu auf Facebook: “nur so viel: wir haben verstanden!”
Ich wünsche mir dringend, dass die Grünen einiges verstehen, das schon lange auf dem Tisch liegt:
Vorgeschichte
Die blamablen Ereignisse der letzten Monate sind bekannt, haben sich aber neuerlich Aufmerksamkeit verdient: Die Trennung von der Grünen Jugend, die Trennung von Peter Pilz, der Rückzug von Eva Glawischnig haben ihren Anteil am miserablen Ergebnis. Schwerer als diese Einzelereignisse wiegt aber eine strukturelle Schwäche der Grünen. Sie nehmen die Gesamtheit der WählerInnen nicht ernst. Und sie haben eine auffällige Schwäche, die eigene grüne Politik zu formulieren und zu kommunizieren.
Keine Lämmchen, trotzdem schlechter Wahlkampf
Für die Grünen wurde ja das Bonmot erfunden: “Sie werden trotz ihres Wahlkampfs gewählt”. Aufsehen erregende Fehler haben sie während des NR-Wahlkampfs 2017 tatsächlich nicht gemacht. Trotzdem sind die Plakate ein Maßstab für die interne Orientierungslosigkeit, ein Zeichen für einen kritischen Punkt: Die Grünen haben nicht klar ausverhandelt, wofür sie stehen.
Das ist Grün.
Schon spannend: Eine Partei, die seit 31 Jahren im Parlament vertreten ist, macht einen Wahlkampf, in dem sie sich grundlegend erklärt. Plakatiert und via fb-Meme multipliziert werden keine konkreten Konzepte, keine messbaren Anliegen für die kommende Legislaturperiode, sondern Überschriften.
Für Gerechtigkeit. Das ist Grün.
Für Respekt. Das ist Grün.
Warum funktioniert das nicht? [Gerechtigkeit] und [Respekt] sind genauso wie [Politik] oder [Demokratie] sogenannte [essentially contested concepts]. Also Konzepte, die über einen gewissen Mindestinhalt hinaus notwendigerweise umstritten sind. “Wir sind für Gerechtigkeit”, “wir sind für Respekt”, welche Partei hätte das nicht plakatieren können? Strache hat einen konzentrierten “Fairness“-Wahlkampf geführt. Der Unterschied zu den Grünen: Die FPÖ-Kampagne erklärt wem ihre Fairness gilt. Die Grünen gehen anscheinend davon aus, dass die Überschrift reicht.
Noch einmal: Plakate sind nicht das Maß aller Dinge. Im Falle der österreichischen Grünen zeigen sie deutlich, wie ausgedünnt die Partei inhaltlich ist. Sie zeigen, wie weit sich eine Partei von ihrer weitesten Zielgruppe abkoppeln kann.
Zukunft
Die Grünen haben in den letzten Jahren vor allem zwei Dinge verabsäumt: Grüne Politik zu entwickeln und über Grüne Politik dementsprechend zu reden.
Wäre schön, wenn sie das verstehen…
Gedanken zu Benedikt Narodoslawsky, „Wahrheit, nein danke!“ (Falter 39/16)
[postfaktisch]
[Wahrheit]
[FPÖ]
[Demokratie]
Es gab also dereinst das „faktische Zeitalter“, als der Mensch sich an der Wahrheit orientierte. In der Antike oder während der Aufklärung. Erleuchtet von der Wirkung der Fakten entschied sich der Mensch vernünftig. Und alles war gut.
Aber heute! Heute leben wir postfaktisch, in der „Nichtwissenwollengesellschaft“ und folgen allein den Gefühlen.
So verläuft der aktuelle pessimistische Diskurs über die postfaktische Gesellschaft. Vielleicht schaden in einer Debatte über Fakten ein paar Fakten nicht:
Menschen sind keine „rational actors“. Diese wesentliche philosophische Annahme ist kognitionswissenschaftlich widerlegt. Menschen orientieren sich weniger an Fakten als an ihren Werten. Sie erfassen die Welt vermittelt durch Frames und haben inkonsistente, manchmal konfuse Weltbilder. Eine Wirklichkeit, die alle Menschen auf diesem Globus teilen, existiert quasi nicht.
Weniger aus „cognitive ease“, weniger weil „wir jene Fakten lieber ignorieren, die unser Hirn anstrengen würden.“ Diese moralische Interpretation erweckt den Eindruck, dass wir uns bloß anzustrengen bräuchten, die objektiven Fakten zu verstehen. Der Vorwurf der Denkfaulheit steht da mit erhobenem Zeigefinger im Raum. Tatsächlich geht es weniger um Wollen: Das menschliche Gehirn lässt Fakten, die nicht den eigenen Frames entsprechen, einfach abprallen. Faulheit? Neuronen!
Ja, die FPÖ „schlachtet jede Nachricht über Straftaten (…) von (…) Asylwerbern aus.“ Und erfolgreich „suggeriert sie damit einen Ausnahmezustand.“ Was daran ist neu oder gar postfaktisch? Der Schlüsselbegriff lautet „salient exemplars“, herausragende Beispiele, die dermaßen betont werden, dass sie zu einer eigenen Wahrheit werden können. Die Wahrscheinlichkeit, bei 6 aus 45 den Sechser zu erraten, liegt bei 0,0000123 Prozent. Mediale Aufmerksamkeit bekommen allerdings nicht die zigtausend Spielsüchtigen in Österreich (=eher wahrscheinlich, selbst betroffen zu sein) sondern die LottogewinnerInnen (höchst unwahrscheinlich, selbst betroffen zu sein). Zur Wahrheit wird der wahrscheinliche Gewinn. Neu? Postfaktisch? Nein, menschlich. So funktionieren unsere Gehirne.
Ja, wir können von der FPÖ lernen. Keine andere Partei spricht ihre Klientel besser an. Weil sie sich sehr früh gekonnt der neuen Medien bedient hat und weil man schon unter Jörg Haider verstanden hat, dass Menschen eben keine „rational actors“ sind. Dass wir in einer Zeit leben, in der Bindungen erodieren und Vertrauen zerbricht. Subjektive Glaubwürdigkeit wird zu einem wesentlichen Faktor. Diese Glaubwürdigkeit hat die Politik in den vergangenen Jahrzehnten sehenden Auges verspielt. Ein Vorwurf, den sich wohl alle Parlamentsparteien gefallen lassen müssen. Politik ist das Erklären und Gestalten der Welt. Es wäre höchste Zeit, diesen Raum nicht mehr der FPÖ zu überlassen!