Die eigene Verantwortung wiegt 150 Zeichen

Ob die Grünen mit dem Framing [schuld] am “Sideletter” ist [Sebastian Kurz] Erfolg haben? Ein Zweifel…

GRUENE-Comeback-sauberer-PolitikEs sind diese beiden Plakate aus der Vergangenheit, die heute so wehtun: “#COMEBACK SAUBERE POLITIK” und “Wen würde der Anstand wählen”, dazu gibt es zahllose, die mit dem Topos “saubere Politik” spielen. Das war einmal. Die Schlagzeilen heute:

Grüner Ärger über Sideletter-Leak
Grüner Ärger über Geheimabsprachen der Parteispitze mit der ÖVP

Die Grünen – also die mit Transparenz und Anstand – haben “geheime” jedenfalls nicht-öffentliche, jedenfalls GRUENE-Wen-wuerde-der-Anstand-waehlenintransparente Absprachen getroffen. Mit der ÖVP, neben dem offiziellen Koalitionspapier. Ist das normal? Im Sinne von “machen das die Anderen auch”? Ja. Im Sinne von “selbstverständlich, dass die Grünen sowas machen”? Bisher dachte man, nein!

Sind Grüne bessere Menschen?

Warum eigentlich nicht? Sind Grüne bessere Menschen? Wohl nicht, aber sie hatten bei der vergangenen Wahl im September 2019 einen Spitzenkandidaten und später einen Verhandlungsführer, den heutigen Vizekanzler Werner Kogler, der bis vor dem letzten Jänner-Wochenende 2022 zu 100 Prozent als Person für eben diese geforderte Transparenz, eben diese geforderte Sauberkeit gestanden hatte. Aber das war eben im Herbst 2019.

Die offizielle Rekation eben jenes Werner Kogler heute Anfang 2022: “Nicht öffentliche Sideletter und Nebenvereinbarungen sollen der Mein Statement_Sideletter sollen der Vergangenenheit angehörenVergangenheit angehören” – ein Visual auf seinem Facebook-Profil. Verbunden mit einem 2.000 Zeichen langen Statement – gerade 150 Zeichen widmen sich der eigene Verantwortung der Grünen, knapp, dafür unprominent mitten im Text, möglichst unauffällig.

Die (defensive) Botschaft bleibt: Wir waren’s nicht! Eigentlich schuld ist Sebastian Kurz. Eigentlich haben wir das beste herausgeholt. Immerhin versteht Kogler “alle, die finden, wir Grünen sind in der Form hinter unseren eigenen Ansprüchen zurückgeblieben – das sehe ich auch und das tut mir leid.”

Die Grünen folgen damit Frames aus der Vergangenheit, die sich schon bisher nicht bewährt haben

  • [Wir Grünen] sind leider nur [die Kleineren], da muss man [realistischerweise] schon sehen, dass wir [nicht alles erreichen] können. Trotzdem haben wir [David gegen Goliath] [viel erreicht], z.B. das Klimaticket.
    Inhaltlich mag das seine Richtigkeit haben. 37,5% vs 13,9% ist ein klarer Unterschied. Warum sich die Grünen aber zwei jahre lang (und auch jetzt) als [leider schwach] framen, und damit Erfolge z.B. von Klimaschutzministerin Gewessler eher zu Zufallstreffern machen, geht mir nicht ein.
  • [Sebastian Kurz] = [Schuld]. [Wir] hätten es ohnehin [anders] gemacht, aber mehr war nicht herauszuholen.
    Ganz bestimmt waren die Verhandlungen extrem schwierig. Alle VerhandlerInnen haben meinen Respekt für ihre Beharrlichkeit. Man muss sich allerdings für eine einzige Kommunikation entscheiden: Entweder haben wir “das Beste aus beiden Welten” oder leider doch eher den unbefriedigenden Kompromiss, weil mit Kurz nun mal nicht mehr gegangen ist. Beides gleichzeitig klappt kommunikativ nicht, wie man sieht.
  • Dass [die anderen] es [genauso machen] und solche Hinterzimmer-Vereinbarungen [normal] sind, ist das dritte wesentliche Framing vieler Grüner dieser Tage. Was das bedeutet? Klarerweise, dass [Grüne Prinzipien] [genauso wertlos] sind, wie jene der andern Parteien, dass [Politik] insgesamt ein [verlogenes Geschäft] für HeimlichtuerInnen und VertuscherInnen ist. Danke für den Hinweis, dann kann ich ja eh auch jemand anderen wählen. Oder gleich meinen Glauben an die Demokratie im Keller verstauen.

Beispiel Johannes Rauch. Der Vorarlberger Grünen-Chef, selbst Teil des damaligen Verhandlungsteams, versucht es erst gar nicht mit Selbstkritik. Wer die Sideletter bedenklich findet, hat Politik nicht verstanden. Ein Koalitionspapier regle nicht, wie die neuen PartnerInnen mit allfälligen unterschiedlichen Positionen und Konflikten umzugehen gedenken. Also mit “Machtfragen” . “Werden diese Fragen nicht vorab geklärt, könnte der größere Partner aufgrund seines höheren Gewichts jedes Detail, von dem im Koalitionsvertrag nicht die Rede ist, im Alleingang bestimmen. Damit würde sich aber jegliche Zusammenarbeit ad absurdum führen: daher ‘Sideletters'”, so Rauch in seinem Blog.

Außerhalb und innerhalb der Politik

“Außerhalb der Politik nennen sich diese ‘Sideletters’ übrigens Nebenabsprachen und sind dermaßen normal und üblich, dass niemand je davon spricht, geschweige denn sie zu einem Skandal hochstilisiert.” Kann bitte jemand Johannes Rauch sagen, dass er sich aber eben “innerhalb der Politik” bewegt? “Wer behauptet, in Verhandlungen gehe es immer nur um Sach-, nie um Personalfragen, leidet unter mangelnder politischer Erfahrung.” Und genau wer behauptet so etwas? Was soll diese Ablenkung von der Frage, wie Grüne in Verhandlungen und im politischen Alltag mit heiklen Themen und inoffiziellen Absprachen umgehen. Ob sie solche zulassen. Wie weit eigene abstrakte politische Ziele später auch im Alltag konkrete Gültigkeit haben. Wieweit gerade Grüne ihre politischen Entscheidungen demokratisch kontrollierbar machen. In Summe: Ob die Grünen ihre Worte auch leben, [walk your talk] und [talk your walk] eben.

Dass “Vertrauen in heiklen Bereichen durch Vertraulichkeit entsteht” und dass das “die zurzeit ungeschriebenen Gesetze von Macht und Politik (sind), ob man sie mag oder nicht”, ist eine These von Rauch, nicht mehr. Von Grünen erwarte ich mir, dass sie damit Erfahrung sammeln wollen, ob nicht auch Offenheit das “dünne Eis des Vertrauens” stärken kann.

Während Rauch polemisiert, versucht sich die Wiener Landesorganisation nicht zu positionieren und dafür die eigenen Stärken zu spielen. “Bürgermeister Ludwig lässt mit Mega-Polizeieinsatz die Bagger auffahren und beendet den Klimaprotest.” Freilich, auch das ist wichtig für die Grünen. Die beiden Landesspitzen Judith Pühringer und Peter Kraus schweigen auf ihren eigenen Facebook-Profilen und überlassen es den WählerInnen, die Geschehnisse einzuordnen.

Andere, wie die bekannt widerständige Wiener Landtagsabgeordnete Viktoria Spielmann, versuchen wenigstens Selbstkritik. Zwar „ist (es) wohl nicht nötig zu erwähnen, dass nicht die Grünen dieses Spiel erfunden haben. Dennoch sind wir als Grüne Alternative vor langer Zeit angetreten, um es anders – um es besser – zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser politische Anspruch eine Stärke der Grünen ist und wir genau deshalb entschieden für Transparenz, für ein Ende der Hinterzimmer Politik und einen anderen Politikstil eintreten müssen – vor allem als Regierungspartei.“

Beispiele aus der Bundesregierung: Leonore Gewessler hält sich heraus. Ein Versuch, als “Fachministerin” und nicht als Grüne Politikerin durch die Krise zu kommen? Könnte strategisch aufgehen. Justizministe rin Alma Zadić geht dafür das Risiko ein und hält ihren  Rücken für die Partei hin, indem sie etwas überhastet eine Reform bei Postenbesetzungen in der Justiz ankündigt. Inhaltlich freilich von enormer Wichtigkeit. Jetzt aber mit dem Beigeschmack einer Anlass-Gesetzgebung.

Was ich nicht entdecken kann, ist eine öffentliche – LAUTE – Anerkennung, dass Grüne WählerInnen zurecht (!) enttäuscht und zornig sind.

Zum Schluss eine etwas unscharfe Bitte

Ich halte die Frage, wie weit eigene abstrakte politische Ziele im Alltag tatsächlich Gültigkeit haben gerade jetzt für extrem wichtig. Wie weit gerade Grüne ihre politischen Entscheidungen demokratisch kontrollierbar machen. In Summe: Ob die Grünen ihre Worte auch leben, “walk your talk” eben. Bitte macht euch auf diesen schwierigen Weg. Nicht weil er gut für die Grünen ist, um bei den nächsten Wahlen zu gewinnen. Sondern weil es ein wichtiger menschlicher Prozess ist, der die österreichische Demokratie weiterbringen kann.

Das derzeitige offizielle Framing deckt diese Fragen zu (“Frames hide and highlight”).
Und das halte ich für bedenklich.

Koalitionsverhandlungen, Sparkurs und Hadschi Bratschi-Framing

Der Framing-Podcast „Denk nicht an einen Elefanten“ zum Nachlesen

Jetzt verhandeln sie noch immer, die Türkisen und die Grünen. Und bislang ist der wesentlichste Dissens, den die VerhandlerInnen nach außen tragen, jener, wielange die Gespräche noch dauern werden.

[Zeit] wird dabei als [endliche Ressource] geframet, als [begrenzt]. Ich verspreche Ihnen aber: Zeit haben wir unendlich viel. Okay, manchmal haben wir’s eilig. Der Zug fährt nun mal bereits in 28 Minuten, nicht in 26 und nicht in 32. Der Abgabetermin ist übermorgen. Der Arbeitstag dauert bis 17 Uhr und wielange mein Leben noch dauern wird? Wer weiß…

Aus unserer Alltagserfahrung (“Ich habe diese und jene Zeitspanne zur Verfügung.”) schließen wir auf das generelle Wesen der Zeit. Und wir machen sie knapp und begrenzt. Dabei haben wir alle Zeit der Welt. Ehrlich. “Koalitionsverhandlungen, Sparkurs und Hadschi Bratschi-Framing” weiterlesen

Sondieren – Koalieren – Flanieren

[Sondieren]
[Verhandeln]
[Politik]

Die erste Runde in der Phase der Koalitionsbildung geht nach Punkten an Sebastian Kurz. Er hat sich mit seinem Wording, seinem Framing und seinem Tempo durchgesetzt.

Wenn der Standard zum Beispiel titelt: “Türkis-grüne Sondierungen: Geheime Gespräche und verschlüsselte Botschaften”, dann macht das für die Grünen verschiedene Probleme auf:

[Sondieren] ist ein politischer Kunstbegriff aus der Zeit vor Schwarz-Blau I. Erst lange sondieren, dann den anderen fest über den Tisch ziehen. Bestenfalls gibt es eine Art Zwischenstand. Zeit vergeht. Viele Möglichkeiten der medialen Selbstdarstellung, vor allem für den stärkeren Player. Für Kurz.

Wer aber [verhandelt], hat anschließend ein Ergebnis vorzuweisen. Verhandelt wird zwischen Gleichen. Wichtig auch der Zeitfaktor. Es tut sich eine Schere auf zwischen der Dringlichkeit Grüner Anliegen und einem gemächlich sondierenden Verhalten. [Politik] = [wichtig] ≠ [ewig warten]. Siehe Vorarlberg: Dort haben sie von Gesetzes wegen vier Wochen Zeit. Und aus. “Sondieren – Koalieren – Flanieren” weiterlesen

Werner Koglers Rat an die SPÖ

Sozialdemokratie muss „rudern statt sudern“

[strategic framing]
[Overton-Fenster]
[Inhalt]
[SPÖ]
[Grüne]
[linke Erzählung]
[Nationalratswahl 2019]

Es sind wenige Sätze, die die Situation der SPÖ nach der vergangenen Nationalratswahl beschreiben:

Erstens: „Es waren die richtigen Themen, die wir gesetzt haben, weil sie die Antworten auf die Probleme der Menschen sind. Und es werden auch weiterhin die richtigen Themen sein.“

„Wir werden diesen Weg der Menschlichkeit (…) weitergehen – für die Österreicherinnen und Österreicher, für alle, die in diesem wunderschönen Land leben.“ Das twittert SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Wahlabend.

Zweitens: „Rudern statt sudern!“, Werner Koglers Motto nach dem Rauswurf aus dem Parlament und nach seiner Wahl zum Grünen Bundessprecher.

Drittens: „Nicht viele Menschen wissen, wofür die Sozialdemokratie überhaupt steht.“ (Gerhard Zeiler im ORF-Runden Tisch nach der Wahl.

Zusammenfassung:

Die SPÖ hat in den letzten Wochen (endlich wieder) auf ein definitiv linkes Profil gesetzt: Mieten runter, Löhne rauf, Jobs, von denen man leben kann.

Pamela Rendi-Wagner hat bewusst und offensiv [miteinander], [gemeinsam] und [stark] verknüpft. Das sind die Bausteine der sozialdemokratischen Zukunft.

Jetzt ist es Zeit, diese Begriffe zu einer gesamthaften Erzählung zu verknüpfen. Und diese Erzählung konsequent nach außen zu tragen. Den öffentlichen Diskurs zu suchen. Den öffentlichen Diskurs zu verändern, das Overton-Fenster zu verschieben.

Overton Fenster

Rudern eben. Mühsam im gemeinsame Inhalte und Positionen ringen. Ausverhandeln, was die Sozialdemokratie ausmacht. Die Grünen haben diesen Prozess in den vergangenen anderthalb Jahren aufgenommen. Sie sind nicht fertig, aber schon recht weit fortgeschritten.

Ebenfalls wichtig, aber erst dahinter, stellen sich all die strategischen Fragen, die gerade mit solcher Begeisterung debattiert werden. Minderheitsregierung dulden? Mehr Frauen? Verjüngung? Mehr Kompetenzen für die Chefin? Alles wichtig. Aber ohne nachvollziehbare und konsequent nach außen getragene Erzählung von einem sozialdemokratischen Österreich kann die SPÖ damit nur eine leere Hülle aufbauen. Und leere Hüllen sind extrem fragil…

Doch noch ein stragegisches PS: Mittelfristig bringts recht wenig, wenn sich Grün und Rot wechselweise die WählerInnen abspenstig machen. So wirds nie was mit der linken Mehrheit…

Framing in sogenannten Wahlkampf-Zeiten

…und was ist Highlander-Framing?
Der Framing-Podcast “Denk nicht an einen Elefanten” zum Nachlesen

Was es alles nicht gibt

  • Es gibt keinen Wahlkampf
  • Es gibt kein Ibiza-Video
  • Es gibt kein „es gibt keine Inhalte“

Was es gibt:

  • Ende Mai spricht der österreichische Nationalrat der Regierung das Misstrauen aus. Der gesamten türkis-blauen Regierung von Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer.
  • Hintergrund: Ein tiefer Einblick in die Geistesverfassung zweier Spitzenpolitiker, voller Gier und Machtrausch.
  • Am 29. September 2019 wählen wir einen neuen Nationalrat. Und entscheiden damit über eine neue Bundesregierung.
  • Jetzt – in den Wochen vor der Wahl – ist die Zeit, in der Parteien besonders laut auf sich aufmerksam machen.

Was soll die Haarspalterei? Freilich gibt es Wahlkampf. Schließlich müssen wir ja mehr Stimmen bekommen. Den anderen Parteien widersprechen. Und überhaupt. Und Geschenke gibt es im Oktober auch keine mehr.

Frames hide and highlight
Frames betonen bestimmte Aspekte eines Themas und blenden dafür andere aus. Der Fokus auf [Wahlkampf] lässt Parteien offenbar vergessen, dass es ihr verdammter Job ist, „den Menschen“ die Welt zu erklären. Und zwar 24/7. Jede politische Maßnahmen braucht ihren Rahmen, ihre Einordnung, ihren Platz in der politischen Erzählung der jeweiligen Partei.

Siehe ÖVP: Auch wenn die [Balkanroute] heuer kein explizites Thema ist, schafft es Kurz in wenigen Sätzen seine Geschichte unterzubringen: illegale Migration, Österreich als attraktiv für Flüchtlinge, chaotische Zustände wie 2015 drohen, MigrantInnen sind nicht alphabetisiert, 60.000 Kinder in Wien, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Inhaltlich ist das alles sehr fragwürdig. Und darum braucht es ein entsprechendes Framing, um diese Inhalte einzuordnen. Die ÖVP liefert dieses Framing.

Andere Parteien, vor allem SPÖ und NEOS, schauen dabei zu. Ihnen fehlt diese belastbare Erzählung.

Die SPÖ versucht sich vor der Nationalratswahl an linken Überschriften.
Mieten müssen runter, Löhne rauf, Menschen brauchen Jobs, von denen sie leben können. Pamela Rendi-Wagner verknüpft bewusst und offensiv [miteinander], [gemeinsam] und [stark]. Das sind wichtige Bausteine. Aber niemand hat sie zu einer gesamthaften Erzählung verknüpft. Oder es gibt diese Erzählung und sie ist bloß noch nicht in der Partei angekommen.

Die Grünen sind mehrere Schritte weiter.
Alles ist Klima in diesen Wochen. Selbst in Debatten über das Bundesheer stellt Werner Kogler den Bezug zu seinem Thema her: Wenn das Heeresbudget auf 1 Prozent steigern soll, dann will ich dasselbe beim Klimaschutz sehen. [Bundesheer] = [Sicherheit], [Klimaschutz] = [Sicherheit]. So kann Framing funktionieren. Wenn sich die Grünen noch das Moralisieren behalten, wäre das der nächste Schritt zum Erfolg. [Richtiges Handeln] belohnen und [falsches Handeln] bestrafen, ist ein Versuch, die CO2-Steuer zu framen, aber wer will sich schon sagen lassen, das eigene Handeln wäre falsch und schädlich. Funktioniert als Selbst-Identifikation der eigenen Klientel. Neue UnterstützerInnen gewinnt man so nicht leicht.

Noch einmal zum „Ibiza-Video“:
In einer TV-Debatte wird NEOS-Chefin Meinl-Reisinger nach einem Untersuchungsausschuss zum „Ibiza-Video“ gefragt. Einfach so, ohne Einordnung. Sie antwortet. Einfach so, ohne Einordnung. Meinl-Reisinger geht wahrscheinlich davon aus, dass das Fernsehpublikum ihre Kritik kennt und ihre Meinung teilt. Sie nimmt wohl an, dass sie nichts mehr zu erklären braucht. Ibiza als Chiffre. No words needed. Irrtum. Sebastian Kurz hat damit leichtes Spiel: Er tänzelt über ein paar Phrasen hinweg und erklärt dann selbstsicher: „Ich bin irrsinnig interessiert daran, wer hinter dem Ibiza-Video steckt.“ Geschafft. Fokus verschoben. Nicht der politische Skandal ist das Thema, sondern das angenommene illegale Zustandekommen.

Meinl-Reisinger hat es versäumt, den Skandal entsprechend zu framen:

  • Die Krise rührt daher, dass Sebastian Kurz eine Koalition mit einem Strache und einem Gudenus geschlossen hat.
  • Die Krise rührt daher, dass offenbar FPÖ-Spitzen glauben (mit Duldung des ÖVP-Obmanns), dass die Republik ihnen gehört und sie sich bereichern können. Ohne Scham und Genierer.
  • Dieses erbärmliche Verhalten hat die Krise ausgelöst.
  • Dass jemand darüber ein Video gedreht hat, ist Nebensache.

[Wahlkampf] ist keine [eigene Entität], kein [Lebewesen], dass alle paar Jahre aus einer Art Winterschlaf auftaucht. Genausowenig ist [Politik] [Kampf] oder gar [Duell]
Ausführlicher besprechen wir das alles in der aktuellen Folge unseres Podcasts Denk nicht an einen Elefanten
Hören Sie sich den Podcast an, widersprechen Sie, diskutieren Sie mit uns. Und abonnieren Sie uns. Danke.

Sarah Wiener – eine kurze Erklärung

Was sagt die Kandidatur von Sarah Wiener für die EU-Parlamentswahl über die Grünen? Drei erste Erklärungsansätze.

[Grüne]
[Sarah Wiener]
[Politikverständnis]
[Framing]

Die Grünen – relevante AkteurInnen innerhalb der Grünen Bundesspitze, des Bundesvorstands – wollen also mit der Starköchin Sarah Wiener den zweiten Listenplatz für die EU-Wahl prominent besetzen. Ich habe mit der Vorgehensweise mehrfach massives Bauchweh.

1) Politikverständnis
Die Grünen treten mit dem ständigen Versprechen an, Politik anders zu machen und ernstzunehmen. Dieses Versprechen ist aber nur so lange glaubwürdig, wie man die eigenen Prinzipien, die eigenen Grundwerte, die eigene politische Haltung auch in Krisenzeiten ernst nimmt. Das Aufstellen einer Fernsehköchin macht Politik zu einem Planspiel, zu einem Match der besseren StrategInnen. Nicht zu einem Durchsetzen der Besseren Ideen. Die Grünen treten offiziell als jene an, die die bessere Politik machen. Kompetenz vor Prominenz. Das passt nicht zusammen.

2) strategische Fehleinschätzung
Die Grünen brauchen keine Promi-Kandidatin aus Film, Funk und Fernsehen, die möglichst allen Menschen bekannt ist. Die Grünen brauchen KandidatInnen, die den richtigen Menschen bekannt sind und bei den richtigen Menschen beliebt sind. Nämlich bei einer erweiterten Zielgruppe. Nicht wichtig ist, ob meine Schwiegermutter oder die Hausmeisterin drüben auf der Zweierstiege sie kennen. Die wählen nämlich eh nicht grün. Die Promi-Kandidatin, die 87 Prozent der ÖsterreicherInnen gut finden, aber leider nicht wählen, bringt weniger, als die richtige Kandidatin, die den Grünen 15 Prozent der Stimmen bringt.

Die Grünen werden laut WählerInnenanalysen weniger wegen der Person der/des SpitzenkandidatIn gewählt als wegen ihrer Inhalte. Wenn schon Promi, dann ausgewiesen politisch. Heini Staudinger, Christian Felber oder Johannes Gutmann sind Beispiele für solche (eine geeignete Frau fällt mir echt nicht ein) und nein, ich spreche mich nicht für deren Kandidatur aus.

3) Die Basisdemkratie kippt
Ich finde es höchst an der Zeit, dass die Grünen ihre Entscheidungsprozesse überarbeiten. Ich halte es zum Beispiel für richtig und wichtig, dass der Bundessprecher oder eine Landessprecherin strategischen Einfluss auf die Listenerstellung nehmen kann. Das Statut möge für die Zukunft geändert werden. Derzeit ist es aber nicht so vereinbart.

Derzeit gilt: Es möge kandidieren, wer will. Und die Basis möge entscheiden.
In diesem Fall der BUKO. Aber. Wenn Werner Kogler mit einer einzigen ausgesuchten Kandidatin vor die Presse tritt, weil er sie für strategisch wichtig hält, bricht er politische Versprechen der Grünen. Solange die Grünen “Basisdemokratie” als quasi unverhandelbaren Grundwert haben, geht es einfach nicht, dass der Chef eine einzelne Kandidatin dermaßen heraushebt. So sehr ich Koglers Drang und die strategischen Überlegungen verstehe.

4) Fazit
Ich will als Wähler ernstgenommen werden. Ich will, dass das Framing von Politik besser wird. Wer glaubt, mich mit einer TV-Köchin zu ködern, zeigt mir keinen Respekt. Ich will sehen, dass Parteien Politik ernstnehmen. Das Grüne Setzen auf Sarah Wiener zeigt mir diesen Ernst nicht.

So, jetzt von den Innsbrucker Grünen lernen.

[Grüne]
[Kampagne]
[Kommunikation]
[Framing]

Die Innsbrucker Grünen haben am 22. April gewonnen – mit einem großartigen Spitzenkandidaten.
Die Salzburger Grünen haben am 22. April verloren – mit einer großartigen Spitzenkandidatin.

Am “Tag danach” ist es immer leicht schlau zu sein. Darum versuche ich, nur einen einzigen ausgewählten Punkt des vergangenen Wahlsonntags zu beleuchten.

Der Unterschied: Die Kampagnenkommunikation.
“So, jetzt von den Innsbrucker Grünen lernen.” weiterlesen

David Alaba ist kein Fußballer

[Salzburg]
[Landtag]
[Politik]
[Staat]

Stellen Sie sich vor, David Alaba erklärt vor dem nächsten entscheidenden Spiel seines Vereins Bayern München: “Ich bin kein Fußballer!” Er tut das aus taktischen Gründen. Er hofft, es kämen mehr Fans, wenn er sich von seinem Beruf und vielleicht sogar von seiner Mannschaft distanziert. Würden Sie das verstehen? “David Alaba ist kein Fußballer” weiterlesen

NÖ Landtagswahl 2018 – Trendwende für die Grünen?

[Grüne]
[Niederösterreich]
[Landtagswahl]
[Framing]
[Politik]

Zwei Tage nach der niederösterreichischen Landtagswahl. Die Grünen haben mit 6,42 Prozent die Erwartungen leicht übertroffen und bleibenlogo grüne nö im Landtag. Eine Menge Menschen teilen jetzt die Sorge, dass die Grünen sich nach dem Wahldebakel vom Oktober zu rasch ausruhen könnten. Dass das einigermaßen verschmerzbare Ergebnis der NÖ-Wahl zu einer verfrühten Entspannung führen könnte. Unter diesen Menschen befinden sich auch mehrere aktive PolitikerInnen. “NÖ Landtagswahl 2018 – Trendwende für die Grünen?” weiterlesen

“Die WählerInnen haben uns vernichtet!” – Grüne Ursachensuche nach der Wahl

[Framing]
[Schuld]
[Verantwortung]

„Es gilt einmal zuzuhören – insbesondere den Wählern und Wählerinnen, die uns bei dieser Wahl nicht gewählt haben. Ich will an dieser Stelle sagen: Man kann mich ansprechen, mir eine Mail schicken. Mich interessieren die Gründe dafür.“

Liebe Maria Vassilakou,
so wirst du im Standard zitiert.

Wir beide kennen einander schon so lange, dass ich noch daran gewöhnt bin, dich Maria zu nennen und nicht Mary. Wie oft habe ich schon mit dir und anderen Grünen SpitzenfunktionärInnen das Gespräch gesucht. Geredet habe ich (ich nehm jetzt mal nur die wichtigsten WienerInnen) mit dir, mit David Ellensohn, mit Joachim Kovacs und mit Andreas Baur.

Also nicht mit irgendwelchen No Names sondern immerhin mit der Vizebürgermeisterin, dem Klubobmann im Rathaus, dem Landessprecher und dem Pressesprecher der Vizebürgermeisterin.

Meine Kritik an den Grünen (die auch Christoph Chorherr immer wieder formuliert):

  • Die Grünen erzählen keine eigene Geschichte. Sie haben keine kommunizierbare Vorstellung, was eigentlich Grüne Politik ist. Sie erzählen ihre Positionen und Werte auf eine untaugliche Art. Insgesamt: Sie haben keine Framing,  keine „Grüne Erzählung“. Nicht für Wien, nicht für Österreich.
  • Die Grünen haben keine konkreten anwendbaren Konzepte zu eminent Grünen Themen wie Partizipation (Heumarkt!) oder Stadtentwicklung/Öffentlicher Raum (Mariahilferstraße!)
  • Die Grünen reagieren auf Kritik sehr empfindlich, wer widerspricht bekommt kein Wertschätzung sondern eine Erklärung, warum die Grünen trotzdem richtig liegen.

Die Antworten sind in diesen Gesprächen und Mailwechseln immer dieselben:

Du hast ja so Recht. Da müssen wir dringend was machen. Aber jetzt passt es gerade nicht. Wir haben einen wichtigen Strategieprozess laufen. Du weißt ohnehin, wie überarbeitet wir sind. Besonders frustrierend habe ich gefunden: „Ich habe schon so viele Framing-Vorträge gehört“.

Das Ergebnis:

Seit Jahren entwickeln sich die Grünen Positionen, deren politische Vermittlung und Umsetzung nicht adäquat weiter.

Als beispielhaft für die Resistenz, für die Veränderungsunwilligkeit erlebe ich die Antworten, die Grüne FunktionärInnen derzeit nach dem Wahl-Debakel vom 15. Oktober geben:

  • Die WählerInnen haben uns vernichtet.
  • Weil die aus taktischen Gründen rot gewählt haben.
  • Hätten wir doch Pilz auf 4 gewählt.
  • Die rechten Populisten haben es nun mal viel leichter als wir.
  • Im Duell an der Spitze sind wir zerrieben worden.
  • Die mediale Berichterstattung war von einem rauen kritischen Ton geprägt.

Wer hat also das Ergebnis zu verantworten? Die WählerInnen, der Pilz und die Medien.

Sprachlich werden die Probleme externalisiert. Verantwortlich sind die externen Entitäten WählerInnen, Pilz, Medien – und nicht wie WIR GRÜNE mit unseren WählerInnen umgehen, wie WIR SELBST unsere Listen wählen, wie WIR POLIT-KOMMUNIKATORiNNEN unsere Geschichten an die Öffentlichkeit tragen. Das mag implizit gemeint sein, für Gutwillige aus dem Kontext hervorgehen. Ich bin aber nicht gutwillig. Ich erwarte mir von PolitikerInnen klare Worte.

Bislang habe ich nur bei Joachim Kovacs die Bereitschaft gefunden, die Ursachen klar bei sich selbst zu suchen: „Wenn man über 2/3 seiner Wähler_innen verliert, mag es viele Gründe dafür geben. Einer, und zwar der Wichtigste, ist man selbst.“

Liebe Maria,

ich könnte noch lange weiterschreiben. Der Kürze halber zwei Links zum Weiterlesen:

„Essentially Contested Concepts“ – zum Framing der Grünen Wahlkampfplakate
Klimawandel – warum wir über das Wetter reden sollten

Ich bin bestürzt über das Wahlergebnis. Und ich bin hoffnungsvoll, dass es die Grünen als Chance wahrnehmen. Ich würde mich unendlich freuen, wenn wir zu den skizzierten Baustellen ins Gespräch kommen.

Alles Liebe
Axel