Muss man als PolitikerIn ahnungslos sein?

[Politik]
[Expertise]
[Demokratie]

Die ÖVP-Ministerriege werde zu 50 Prozent aus Frauen und zu zwei Dritteln aus Experten und Expertinnen bestehen,” sagt Sebastian Kurz laut ORF.at.

Okay. ÖVP-PolitikerInnen sind also keine ExpertInnen für ihre Bereiche. Wenn Kurz es so sagt, will ich ihm glauben. “Muss man als PolitikerIn ahnungslos sein?” weiterlesen

NRW17: Lernen sie daraus?

Für die Grünen endet die Nationalratswahl 2017 mit einem Debakel. Ob Einzug in den Nationalerat oder nicht, auf +/-4 Prozent sinken ist eine Katastrophe. Der grüne Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch schreibt dazu auf Facebook: “nur so viel: wir haben verstanden!

Ich wünsche mir dringend, dass die Grünen einiges verstehen, das schon lange auf dem Tisch liegt:

Vorgeschichte

Die blamablen Ereignisse der letzten Monate sind bekannt, haben sich aber neuerlich Aufmerksamkeit verdient: Die Trennung von der Grünen Jugend, die Trennung von Peter Pilz, der Rückzug von Eva Glawischnig haben ihren Anteil am miserablen Ergebnis. Schwerer als diese Einzelereignisse wiegt aber eine strukturelle Schwäche der Grünen. Sie nehmen die Gesamtheit der WählerInnen nicht ernst. Und sie haben eine auffällige Schwäche, die eigene grüne Politik zu formulieren und zu kommunizieren.

Keine Lämmchen, trotzdem schlechter Wahlkampf

Für die Grünen wurde ja das Bonmot erfunden: “Sie werden trotz ihres Wahlkampfs gewählt”. Aufsehen erregende Fehler haben sie während des NR-Wahlkampfs 2017 tatsächlich nicht gemacht. Trotzdem sind die Plakate ein Maßstab für die interne Orientierungslosigkeit, ein Zeichen für einen kritischen Punkt: Die Grünen haben nicht klar ausverhandelt, wofür sie stehen.

Das ist Grün.

Das ist Grün.
Das ist Grün.

Schon spannend: Eine Partei, die seit 31 Jahren im Parlament vertreten ist, macht einen Wahlkampf, in dem sie sich grundlegend erklärt. Plakatiert und via fb-Meme multipliziert werden keine konkreten Konzepte, keine messbaren Anliegen für die kommende Legislaturperiode, sondern Überschriften.

Für Gerechtigkeit. Das ist Grün.
Für Respekt. Das ist Grün.

Warum funktioniert das nicht? [Gerechtigkeit] und [Respekt] sind genauso wie [Politik] oder [Demokratie] sogenannte [essentially contested concepts]. Also Konzepte, die über einen gewissen Mindestinhalt hinaus notwendigerweise umstritten sind. “Wir sind für Gerechtigkeit”, “wir sind für Respekt”, welche Partei hätte das nicht plakatieren können? Strache hat einen konzentrierten “Fairness“-Wahlkampf geführt. Der Unterschied zu den Grünen: Die FPÖ-Kampagne erklärt wem ihre Fairness gilt. Die Grünen gehen anscheinend davon aus, dass die Überschrift reicht.

Noch einmal: Plakate sind nicht das Maß aller Dinge. Im Falle der österreichischen Grünen zeigen sie deutlich, wie ausgedünnt die Partei inhaltlich ist. Sie zeigen, wie weit sich eine Partei von ihrer weitesten Zielgruppe abkoppeln kann.

Zukunft

Die Grünen haben in den letzten Jahren vor allem zwei Dinge verabsäumt: Grüne Politik zu entwickeln und über Grüne Politik dementsprechend zu reden.
Wäre schön, wenn sie das verstehen…

Mist. Die ÖVP hat den falschen Obmann gewählt

[Sebastian Kurz]
[Christian Kern]
[Re-Framing]
[Politik]
[Neuwahlen]

Das ÖVP-Präsidium hat also blöderweise den falschen Obmann gewählt – und muss sich das ausgerechnet von dem Mann sagen lassen, der den Chefposten gerade erst am 14. Mai übernommen hat.

Ausgerechnet Sebastian Kurz erklärt heute vor dem Ministerrat, dass er Wolfgang Brandstetter als neuen Vizekanzler vorschlage. Die Begründung: Der Justizminister sei ein anerkannter Mann, der in keine einzige koalitionsinterne Streiterei verwickelt gewesen sei und der in der Lage sei, das erst im Jänner vereinbarte Arbeitsprogramm mit der SPÖ zu erledigen.

Wie bitte?

Wenn Brandstetter diese Fähigkeiten hat, wozu sollten wir dann überhaupt die Nationalratswahl vorziehen? Was sollte diesen großartigen Mann dann hindern, mit Kanzler Kern und der SPÖ auch weitere gemeinsame Projekte zu definieren und umzusetzen? Warum hat die ÖVP-Spitze dann nicht Wolfgang Brandstetter zum Obmann gemacht? Warum hat sich die Bundes-ÖVP dann weitgehend entmachtet? Warum ist Sebastian Kurz jetzt Wiki und die starken ÖVP-Männer in Personalunion?

Die traurige Erklärung: Weil es der Volkspartei nicht um produktives Arbeiten in der Koalition geht. Das ist die einzige mir nachvollziehbare Erklärung dafür, warum Mitterlehner weg, Sobotka noch immer im Amt und Kurz an der Parteispitze ist. Kurz ist kaum verschleiert als Wahlkampf-Obmann gewählt worden. Als einer, der eine weitere Beschädigung des politischen Systems in Kauf nimmt, in der Hoffnung auf kurzfristigen Gewinn für seine Partei.

Beschädigung des politischen Systems?

Würden wir unsere Welt rein faktenbasiert erleben, wäre eine Koalitionskrise egal. In eine Sackgasse geraten – ein neues Parlament wählen – weiterarbeiten – Hakerl drunter. So funktioniert die Welt aber nicht. Vorgezogene Wahlen sind ein Ausdruck davon, dass Politik nicht mehr weiterkommt. Dass Politik gescheitert ist. Und bei Menschen, die ohnehin an der Lösungskompetenz des Parteiensystems zweifeln, bestärkt das Geschehen der letzten Wochen den Frame [Politik] ist doch nur [Streit] und einander [Hackeln ins Kreuz] werfen. „Die“ kommen schon wieder einmal nicht weiter. „Es muss sich was ändern“!

Ja, es muss sich „was ändern“, nämlich Stil und Amtsauffassung in der Spitzenpolitik! Es muss sich unser Über-Politik-Reden ändern. Aufgabe von Politik ist nicht bloß das mühsame Bohren etc., das ist nur eine von vielen möglichen Metaphern, einer von vielen möglichen Frames. Wir brauchen ein Re-Framing hin zu [Politik] ist [Lösungen finden], [Politik] ist [ernsthaft Arbeiten]. [Politik] ist viel zu [wertvoll] für taktische Spielchen. Die mögen andere machen.

NEOS und Grüne sind wie zu erwarten in genau diese Falle getappt. Schon wieder.

Mit Verlaub und bei allem Respekt vor Peter Pilz: Der Eurofighter-Ausschuss ist in diesen Tagen nicht das allerdringendste Problem. Die Bundesregierung muss nicht weiterarbeiten, damit der Ausschuss nicht „abgedreht“ wird, sondern eben weil wir Politik machen, um Lösungen für die wichtigen Themen in Österreich und auch drum herum zu finden.

Wieder einmal haben NEOS und Grüne es verabsäumt, Politik und Regierungsarbeit als wichtiges Element unserer Gesellschaft zu framen. Oder habe ich nur überhört, dass Eva Glawischnig und Matthias Strolz in Interviews mit Stolz die Position vertreten haben: Politik ist viel zu wichtig, eine viel zu wesentliche Aufgabe, als dass wir sie von Sebastian Kurz kaputt machen lassen. Kurz will nicht mehr weiterarbeiten. Gut. Christian Kern will weiterarbeiten. Gut! Wir sind dabei. Über die Details werden wir später verhandeln. Aber wir machen Politik. Das heißt, wir widmen uns den echten Themen, nicht den internen Problemen einer Partei! Ihre Krisen möge sich die ÖVP mit sich selbst ausmachen, da brauchen wir nicht mitzugehen.“ Die FPÖ framet natürlich nicht so. Sie lebt ja von der Beschädigung des Politischen Systems. Ergo: Dass SPÖ, NEOS und Grüne jetzt für vorgezogene Wahlen eintreten, nützt nicht jenen, die ernsthaft Politik machen wollen, sondern dem, was Kurz und die ÖVP wollen.

Sebastian Kurz wird im August übrigens 31. Seit 2011 hat er eine Regierungsfunktion. Zuerst Integrationsstaatssekretär, seit 4 Jahren ist er Außenminister. [Kurz] ist also längst nicht mehr [jung], [neu] oder [unverbraucht]. Wer heute noch seine angebliche Jugendlichkeit kritisiert, unterstützt die absurde Annahme, hier käme jemand, der frischen Wind brächte. Hören wir auf damit!