Dank Gernot und Sebastian dürfen wir wieder konservativ sein

Warum Gernot Blümel die Wienwahl als Erfolg verbuchen kann

Ehrlich. Wenn ich mich an Manfred Juracka erinnern will, muss ich mich sehr konzentrieren. Juraczka, das ist jener farb- und glücklose Mann, von dem ein gewisser Gernot Blümel 2016 die farb- und glücklose Wiener ÖVP übernommen hat.

Nach der Gemeinderatswahl 2015 gab Juracka nach dem schlechten Abschneiden der Volkspartei (9,24 Prozent) seinen Rücktritt bekannt. 2016 wurde sein Nachfolger bestellt, der bisherige Generalsekretär der Bundes-ÖVP, eben Gernot Blümel.

Heute ist zumindest Blümel fröhlicher, als es sein Vorgänger am Tag nach der Wahl war. Vorläufiges Ergebnis 18,49 Prozent, also ziemlich genau eine prozentuelle Verdoppelung. Und trotzdem gibt es rundherum Häme.
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Dass Blümel bei der letzten Weihnachtsfeier der ÖVP seinen ParteifreundInnen den Wiener Bürgermeistersessel in Aussicht gestellt hatte, war wohl nie so ganz ernst gemeint.

Warum kann Gernot Blümel den Wahlkampf trotzdem als Erfolg verbuchen?

Blümel hat der unattraktiven “Volks”-Partei wieder Profil gegeben. Kein Interview, kein öffentlicher Auftritt, ohne den Verweis, wer die richtige Politik macht, natürlich die ÖVP: “Mitte-Rechts-Politik mit Anstand” , manchmal auch “mit Hausverstand”. Und damit hat er – gut vorbereitet – die eigenen Ziele erreicht.

Gut vorbereitet? Spätestens seit Jänner 2019 lässt Sebastian Kurz keine Spitze gegen das Rote Wien aus,

„Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen.“

Und er attackiert – im Wien-Wahlkampf von Blümel fortgeführt – freilich nicht die Errungenschaften sozialistischer und sozialdemokratischer Stadtregierungen. Er macht sich auf die Suche nach der Emotion. Gegen den Schlendrian, die Faulheit, die Arbeitsunwilligkeit, die Freunderlwirtschaft, den Run auf die Mindestsicherung, gegen vermeintliche Ungerechtigkeiten. Und er verknüpft diese negativen Emotionen mit Rot und mit Wien. Inhaltlich freilich völliger Unsinn. Aber zielgruppengerecht.

Nachdem der ÖVP die bisherigen WählerInnen abhandengekommen sind, baut sich Blümel neue auf.

Zielgruppe ist längst nicht mehr ein optimistiches, zukunftsorientiertes städtisches BürgerInnentum. Zielgruppe ist die FPÖ-WählerInnenschaft. Frustriert, nach eigenem Empfinden zu kurz gekommen, konservativ bis retro, bloß mit höherem Einkommen. Die Zeiten, in denen man die Stadtschwarzen erstens als schwarz und zweitens als weltoffen und urban-liberal positioniert hatte, sind längst vorüber.

Gefällt mir das? Nein. Aber es wirkt.

20 Prozent der WienerInnen wissen wieder, warum sie ÖVP wählen sollen. Sie dürfen wieder konservativ sein. Weil [rechts]=[Mitte]=[Anstand]. Und freilich sind wir Konservativen sowohl anständig als auch in der Mitte der Gesellschaft.

Gernot Blümel und damit Sebastian Kurz haben wieder eine einigermaßen sichere Basis für ihre weitere Politik. Erreicht mit einer simplen Erzählung: Rot ist generell schlecht. Wir als ÖVP, wir sind diejenigen mit der Kompetenz. Mit dem Verstand. Mit dem Hausverstand. Wir sind die Macher, die Pragmatiker. Ganz anders als die linken TräumerInnen. Anders als die, die Wien abgewirtschaftet haben.

Faktisch falsch? Freilich! Aber seit wann haben Emotionen und Frames etwas mit Fakten zu tun? Manfred Juracka hat die Politik übrigens 2018 verlassen.

Framing in sogenannten Wahlkampf-Zeiten

…und was ist Highlander-Framing?
Der Framing-Podcast “Denk nicht an einen Elefanten” zum Nachlesen

Was es alles nicht gibt

  • Es gibt keinen Wahlkampf
  • Es gibt kein Ibiza-Video
  • Es gibt kein „es gibt keine Inhalte“

Was es gibt:

  • Ende Mai spricht der österreichische Nationalrat der Regierung das Misstrauen aus. Der gesamten türkis-blauen Regierung von Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer.
  • Hintergrund: Ein tiefer Einblick in die Geistesverfassung zweier Spitzenpolitiker, voller Gier und Machtrausch.
  • Am 29. September 2019 wählen wir einen neuen Nationalrat. Und entscheiden damit über eine neue Bundesregierung.
  • Jetzt – in den Wochen vor der Wahl – ist die Zeit, in der Parteien besonders laut auf sich aufmerksam machen.

Was soll die Haarspalterei? Freilich gibt es Wahlkampf. Schließlich müssen wir ja mehr Stimmen bekommen. Den anderen Parteien widersprechen. Und überhaupt. Und Geschenke gibt es im Oktober auch keine mehr.

Frames hide and highlight
Frames betonen bestimmte Aspekte eines Themas und blenden dafür andere aus. Der Fokus auf [Wahlkampf] lässt Parteien offenbar vergessen, dass es ihr verdammter Job ist, „den Menschen“ die Welt zu erklären. Und zwar 24/7. Jede politische Maßnahmen braucht ihren Rahmen, ihre Einordnung, ihren Platz in der politischen Erzählung der jeweiligen Partei.

Siehe ÖVP: Auch wenn die [Balkanroute] heuer kein explizites Thema ist, schafft es Kurz in wenigen Sätzen seine Geschichte unterzubringen: illegale Migration, Österreich als attraktiv für Flüchtlinge, chaotische Zustände wie 2015 drohen, MigrantInnen sind nicht alphabetisiert, 60.000 Kinder in Wien, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Inhaltlich ist das alles sehr fragwürdig. Und darum braucht es ein entsprechendes Framing, um diese Inhalte einzuordnen. Die ÖVP liefert dieses Framing.

Andere Parteien, vor allem SPÖ und NEOS, schauen dabei zu. Ihnen fehlt diese belastbare Erzählung.

Die SPÖ versucht sich vor der Nationalratswahl an linken Überschriften.
Mieten müssen runter, Löhne rauf, Menschen brauchen Jobs, von denen sie leben können. Pamela Rendi-Wagner verknüpft bewusst und offensiv [miteinander], [gemeinsam] und [stark]. Das sind wichtige Bausteine. Aber niemand hat sie zu einer gesamthaften Erzählung verknüpft. Oder es gibt diese Erzählung und sie ist bloß noch nicht in der Partei angekommen.

Die Grünen sind mehrere Schritte weiter.
Alles ist Klima in diesen Wochen. Selbst in Debatten über das Bundesheer stellt Werner Kogler den Bezug zu seinem Thema her: Wenn das Heeresbudget auf 1 Prozent steigern soll, dann will ich dasselbe beim Klimaschutz sehen. [Bundesheer] = [Sicherheit], [Klimaschutz] = [Sicherheit]. So kann Framing funktionieren. Wenn sich die Grünen noch das Moralisieren behalten, wäre das der nächste Schritt zum Erfolg. [Richtiges Handeln] belohnen und [falsches Handeln] bestrafen, ist ein Versuch, die CO2-Steuer zu framen, aber wer will sich schon sagen lassen, das eigene Handeln wäre falsch und schädlich. Funktioniert als Selbst-Identifikation der eigenen Klientel. Neue UnterstützerInnen gewinnt man so nicht leicht.

Noch einmal zum „Ibiza-Video“:
In einer TV-Debatte wird NEOS-Chefin Meinl-Reisinger nach einem Untersuchungsausschuss zum „Ibiza-Video“ gefragt. Einfach so, ohne Einordnung. Sie antwortet. Einfach so, ohne Einordnung. Meinl-Reisinger geht wahrscheinlich davon aus, dass das Fernsehpublikum ihre Kritik kennt und ihre Meinung teilt. Sie nimmt wohl an, dass sie nichts mehr zu erklären braucht. Ibiza als Chiffre. No words needed. Irrtum. Sebastian Kurz hat damit leichtes Spiel: Er tänzelt über ein paar Phrasen hinweg und erklärt dann selbstsicher: „Ich bin irrsinnig interessiert daran, wer hinter dem Ibiza-Video steckt.“ Geschafft. Fokus verschoben. Nicht der politische Skandal ist das Thema, sondern das angenommene illegale Zustandekommen.

Meinl-Reisinger hat es versäumt, den Skandal entsprechend zu framen:

  • Die Krise rührt daher, dass Sebastian Kurz eine Koalition mit einem Strache und einem Gudenus geschlossen hat.
  • Die Krise rührt daher, dass offenbar FPÖ-Spitzen glauben (mit Duldung des ÖVP-Obmanns), dass die Republik ihnen gehört und sie sich bereichern können. Ohne Scham und Genierer.
  • Dieses erbärmliche Verhalten hat die Krise ausgelöst.
  • Dass jemand darüber ein Video gedreht hat, ist Nebensache.

[Wahlkampf] ist keine [eigene Entität], kein [Lebewesen], dass alle paar Jahre aus einer Art Winterschlaf auftaucht. Genausowenig ist [Politik] [Kampf] oder gar [Duell]
Ausführlicher besprechen wir das alles in der aktuellen Folge unseres Podcasts Denk nicht an einen Elefanten
Hören Sie sich den Podcast an, widersprechen Sie, diskutieren Sie mit uns. Und abonnieren Sie uns. Danke.

EU-Wahl: Wo bleibt der SPÖ noch Platz in den Medien?

[Wahlkampf]
[EU]
[Ö1 Journal]

Herbst 2015. Es war das groß ausgerufene “Duell um Wien“. “Der Wahlkampf für die Wien-Wahl spitzte sich medial und in den Kampagnen auf das „Duell um den Bürgermeister“ zwischen Michael Häupl (SPÖ) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) zu“, schreibt orf.at. Dazu immer wieder die Frage: Werden die anderen Parteien in der Auseinandersetzung zwischen Amtsinhaber und selbst ernanntem Herausforderer marginalisiert? Werden sie mit ihren Themen durchkommen?

Das Ergebnis ist bekannt: Trotz Verlusten verteidigt Häupl das Bürgermeisteramt mit knapp 40 Prozent der Stimmen, Strache bleibt 9 Prozentpunkte dahinter und im Nationalrat.

Heute früh im Morgenjournal

Zu Gast ist SPÖ-Chefin Rendi-Wagner.
Moderator Paul Schiefer vermutet, die EU-Wahl könnte auf ein Match zwischen Karas (pro-europäisch) und Vilimsky (EU-äh-kritisch) hinauslaufen. Dann die spannende Frage, die Schiefer im Interview später wiederholen wird: “Wo bleibt da noch Platz für den SPÖ-Kandidaten Andreas Schieder?

Übersetzung: Wer [durchkommt] mit den eigenen Themen, worauf [es sich zuspitzt], entscheidet in diesem Framing nicht die Redaktionskonferenz oder die Chefredakteurin. Es entscheidet sich naturgesetzlich, von alleine, durch Dritte. “Der Wahlkampf spitzt sich medial zu.”

Als old-school-Radiomenschen lässt mich das einigermaßen frustriert zurück. Und mir bleibt der Appell: Was “durchkommt”, worauf “es sich zuspitzt” mögen JournalistInnen entscheiden. Sie sind die GatekeeperInnen. Und sie mögen derartige Entscheidung niemals den ParteistrategInnen überlassen.